MAN NENNT MICH DIE SÜNTELBUCHE
Manche Zungen nennen mich stattdessen die Krüppel-Buche. Meine „Behinderung“ ist in Wahrheit eine große Gabe. Ja, ich wachse anders als die gewöhnliche Buche. Das hat aber auch seinen Vorteil. Zusammen mit meiner Familie bilde ich ein schützendes Dach, ähnlich wie auf den alten Backstein-Bauernhöfen hier im Norden. Nur ist mein Dach aus frischen Blättern statt aus alten Gräsern geflochten. Unsere Zimmer sind verspielt und verbogen. Unsere Fenster formfrei und bunt wie in mancherlei Kirchen.

Der Dirigent unseres Spiels hat von uns viel Fantasie verlangt. Hier geht es zum Teil wild zu. Nichts ist gradlinig. Alles ist krumm, und eben darum etwas Besonderes.
Kinder lieben unseren kleinen „Hexenwald“, Erwachsene auch. Manche Menschen versuchen uns spielend zu imitieren und werden selbst zu Akrobaten. Für die krabbelnden Insekten bilden wir ein unendliches Labyrinth. Einmal angefangen, gelangen sie nie an die gleiche Stelle zurück. Die Menschen meinen, dass es bei uns nicht mit rechten Dinge zugeht. Aber sie irren sich. Statt rechts machen wir einfach links. Statt gerade gehen wir rund.
Doch wer weiß ... unser Lebenssaft mag wohl mit einer gewissen Hexenmixtur gewürzt sein. Im Wesentlichen sind wir dennoch genauso wie die anderen – nur ein wenig anders ...
Heimat:
Norddeutschland, Ursprung in „Süntel“, einem Hochland nördlich von Hameln, hier auf Rügen im Waldpark Semper (1920 gepflanzt)
Baumsorte:
Fagus Sylvatica Varietät Suentelensis, Süntel-Buche, Rotbuche-Tortuosa, - seltene Unterart
Baumfamilie:
Buchengewächse (Fagaceae)
Gebräuchliche Namen:
Süntelbuche
Motivation:
Auf der Insel Rügen liegt ein versteckter Waldpark. Ursprung des Parks ist ein altes Gutshaus mit aufwändig angelegten Gartenanlagen. Jahrzehntelang sich selbst überlassen, wuchs der Wald weiter nach eigenem Gusto. Die Süntel-Buchen bildeten wie eine große Familie ein gemeinsames Dach von Blättern. Von außen wirkt das Ganze wie eine Einheit – ein grüner Tempel. Von innen glaubt man, kichernde, alte Hexen tanzen zu sehen.